"Big Data ist wie eine Revolution, die unser Leben verändern wird"

31. Juli 2016

Hermann Madlberger, Leiter des Predictive Analytics
Competence Center im Finanzministerium, im Gespräch.

Sie beschäftigen sich seit Jahren mit Data Mining und Predictive Analytics. Inwiefern können diese neuen Technologien die Finanzverwaltung unterstützen?

Predictive Analytics ist Teil eines innovativen Risikomanagements, das aus historischen Daten zukünftige Handlungsnotwendigkeiten ableiten kann. Durch die Analyse von Datenmustern mit Hilfe spezieller Software ist es möglich, die Wahrscheinlichkeit von Ergebnissen künftigen Verwaltungshandelns zu berechnen. So können wir mit weniger Kontrollen bzw. Prüfungen effektivere und wirkungsvollere Ergebnisse erzielen. Diese Methoden können überall dort eingesetzt werden, wo es darum geht, die Spreu vom Weizen zu trennen. Daraus ergeben sich vielfältige Anwendungsmöglichkeiten. Prüfroutinen wie Risikoprofile beim Zoll basieren auf menschlichen Erfahrungswerten. Predictive Analytics hingegen verwendet mathematisch-statistische Algorithmen und fördert damit unerwartete Ergebnisse zutage. Tatsächlich erfinden wir da das Rad nicht neu, sondern machen uns Methoden aus der Privatwirtschaft zu Nutze. Im Bankenbereich wird üblicherweise kein Kredit mehr ohne Risikobewertung mit Hilfe vorhandener Daten vergeben. Im Kreditkarten-Business schlägt die Software an, wenn zwei Behebungen zeitnah hintereinander an Orten mit ungewöhnlich großer Entfernung erfolgen.

Welche rolle spielt dabei die Basiskomponente Big Data, an deren Umsetzung das BMF gemeinsam mit dem BRZ gerade arbeitet?

Die Basiskomponente Big Data bildet die technologische Grundlage für Predictive Analytics. Gleichzeitig ist die Datenbasis dafür wiederum die Grundlage für alle unsere Datenanalysen. Das Ziel ist es, auf alle Daten der Steuer- und Zollverwaltung in einer Technologie an einem Ort zugreifen zu können. Dabei werden auch mannigfache Synergien genutzt werden können – technologisch, organisatorisch und auch fachlich.

Gibt es andere Ressorts, Behörden oder organisationen im öffentlichen Bereich, die Predictive Analytics bereits erfolgreich einsetzen?

Aus dem Innenministerium ist mir bekannt, dass mit Predictive Policing Hotspots für Dämmerungseinbrüche vorhergesagt werden. Nach präventiv verstärkter Überwachung kann in der nachfolgenden Evaluierung gezeigt werden, dass die Maßnahmen tatsächlich zu einem Rückgang der Einbrüche geführt haben. An diesem Beispiel sieht man sehr gut, dass Predictive Analytics in die Arbeitsprozesse integriert werden muss. Dabei reicht es nicht, das technisch umzusetzen – erfolgskritisch ist das Umdenken in den Köpfen der handelnden Personen. Wenn die ÖBB wissen möchten, welche Zuglänge zu welcher Tageszeit erforderlich ist,  dann erübrigt sich heute die manuelle Stricherlliste am Bahnhofsausgang. Es werden anonymisierte Handydaten eingekauft und analysiert. Dadurch sind Auslastungsvorhersagen und Verkehrsplanungen leichter und genauer möglich. Auch in Schweden werden Verkehrsleitsysteme mit Big Data optimiert.

In welchen Bereichen der österreichischen Bundesverwaltung orten sie Einsatzmöglichkeiten für Predictive Analytics?

Predictive Analytics kann helfen die Stecknadel im Heuhaufen zu finden. Und zwar überall dort, wo es um Kontrollen oder Überprüfungshandlungen geht und eine Fülle von Daten vorliegt. Diese Methoden eignen sich aber auch zur Optimierung von Prozessen: Wann ist die nächste Wartung erforderlich? Wie wird sich der Personaleinsatz in den nächsten 5 Jahren entwickeln und wo sind welche  Weiterbildungsmaßnahmen erforderlich? Kurz gesagt: Überall dort, wo große Datenmengen anfallen, stellt sich die Frage: Was machen wir damit?

Was wird uns die Zukunft im Bereich Big Data und Predictive Analytics noch bringen?

Nach Meinung namhafter Analysten verfehlen mehr als die Hälfte der Analytics-Projekte ihre Ziele. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Die Herausforderung liegt nicht in der Technologie, sondern in den erforderlichen Personalressourcen und den organisatorischen Rahmenbedingungen. Welches Unternehmen oder welche Verwaltung beschäftigt einen oder mehrere Data Scientists? Welche Form der Zusammenarbeit wird Fachverantwortlichen, Data Scientists und IT-Verantwortlichen ermöglicht? Das Bundesministerium für Finanzen hat einen ersten Schritt in diese Richtung mit dem Predictive Analytics Competence Center gemacht. Predictive Analytics wird jedenfalls unser Leben ähnlich verändern, wie es Handys und Internet gemacht haben.

 

Zur Person:

Hermann Madlberger, MBA MPA

leitet seit Juni 2016 das Predictive Analytics Competence Center in der Steuer- und Zollkoordination des Bundesministeriums für Finanzen. Bis 2010 war er jahrzehntelang in verschiedensten Managementfunktionen tätig. Danach leitete er Projekte zu Reporting, Data Mining und Predictive Analytics.